01.10.2024, 11:56
Die Kontroverse um den talentierten Point Guard
LaMelo Ball gewann den Rookie-of-the-Year-Award, zählte zu den aufregendsten jungen Spielern der Liga. Bis Verletzungen den Aufstieg bremsten. Aber war da mehr? Trägt Ball wirklich zum Gewinnen bei oder füllt er lediglich den Boxscore? Sollten die Charlotte Hornets sogar einen Trade erwägen - oder waren die vergangen beiden Jahre am Ende nur ein Delle?
Wo liegt der Ursprung von "Winning Basketball"? Beim Front Office? Beim Chairman? Im Coaching Staff? Im Team? Beim Superstar? Am Ende braucht es wahrscheinlich die richtige Mischung. Ohne positive Kultur keine passende Teamchemie. Ohne gutes Coaching kein stabiles Konstrukt. Ohne Talentbalance keine Teambalance. Ohne Superstar keine Meisterschaftschance. Bliebe die Frage, wie viele Komponenten zusammenkommen müssen, um den Beitrag jedes einzelnen zu echtem "Winning Basketball" wirklich einschätzen zu können.
Womit wir beim Fall des LaMelo Ball wären. Als Rookie of the Year führte der Point Guard die Hornets bereits im zweiten Jahr zu einer positiven Bilanz, wurde All-Star, erreichte immerhin das Play-in. Dabei glitt Melo mehr über das Parkett, als dass er lief. Unterarm-Outletpässe wirkten schwerelos wie sonst nur Neil Armstrong. Doch Ball zauberte nicht nur. Sein Spiel machte die Teamkollegen besser, führte zu Siegen, beinahe zur Playoff-Teilnahme.
Lange bevor sich Anthony Edwards gnadenlos durch Playoffs grinste, sprachen nicht wenige von LaMelo als einem der aufregendste, vor allem vielversprechendsten jungen Spieler der Liga. Ein typischer Franchise Player. Grenzen gab es nicht mal in Himmelnähe. So schien es. In den vergangen beiden Jahren brachte es Ball jedoch nur noch auf 58 von möglichen 164 Regular-Season-Spielen. Über seine gesamte Karriere steht die Einsatzquote bei 184/328. Immer wieder raubten Verletzungen die Leichtigkeit. Immer wieder musste er zusehen, wie sich die Hornets zielsicher in die Lottery spielten.
Saison | Bilanz (Platz Osten) | Spiele mit Ball | Ergebnis |
---|---|---|---|
2020/21 | 33-39 (10.) | 51 | Aus im Play-In |
2021/22 | 43-39 (10.) | 75 | Aus Im Play-In |
2022/23 | 27-55 (14.) | 36 | Postseason verpasst |
2023/24 | 21-61 (13.) | 22 | Postseason verpasst |
Den Maximalvertrag bekam Ball dennoch. 203 Millionen Dollar kassiert der Playmaker über fünf Jahre. Das weckt auch Erwartungen. Vor allem schärfen derlei Verträge den Blick. Mehr muss funktionieren, damit am Ende alles mindestens solide bleibt. Schert die Leistung aus, führt der Weg nicht mehr nur nach oben, erwacht die Kritik. Und da Ball seit 2022 nicht mehr zu gewinnbringendem Basketball beitrug, kommen nun Fragen auf.
"Ich weiß nicht, ob LaMelo Ball wirklich Winning Basketball spielen kann", sagte ESPN-Analyst Tim McMacon beispielsweise im Hoop Collective Podcast. "Ich weiß nicht, ob LaMelo Ball der Franchise Player eines Gewinners sein kann, weil er einfach ein ziemliches Empty-Calories-Spiel hat, oder?… Der Mann kann den Boxscore füllen, aber seine Effizienz - obwohl er den Dreier relativ gut trifft - seine Effizienz ist Müll."
Ob die Effizienz wirklich ein Fall für die städtischen Entsorgungsspezialisten ist, sei einmal dahin gestellt. Der Boxscore berichtet über vier Jahre LaMelo Ball von mindestens soliden 20 Punkten, 7,4 Assists und 6,2 Rebounds bei 42,7 Prozent aus dem Feld und 37,4 Prozent aus der Distanz. Gleichzeitig bescheinigt das Net Rating einen negativen Impact (-2,5). Wobei derlei Stats auf das Individuum runtergebrochen maximal Anhaltspunkte liefern.
Vorhanden sind die jedoch auch ohne Zahlen. Was Ball tatsächlich angehaftet wird: Trotz eigentlich guter Voraussetzungen (Länge, Agilität) verteidigt er schlicht nicht gut, mitunter sogar lustlos. An diesem Punkt fließt auch sein Leadership in die Bewertung hinein. Das erntet ebenfalls immer wieder Kritik. Vorwurf: ein Mangel an Ernsthaftigkeit. In Interviews wirkt Ball mitunter teilnahmslos. Beim Charlotte Observer malt Neu-Coach Charles Lee wiederum ein ganz anderes Bild. "Es war eine Freude, die Person [LaMelo] kennenzulernen", sagte er. "Ich habe schnell gemerkt, dass er etwas Großartiges an sich hat. Er bringt alle zusammen, sowohl auf als auch neben dem Court. Das mag ich sehr."
Diese lockere Art, die aus der Distanz teilnahmslos wirkt, vielleicht tut sie dem Locker Room auch gut. Gleichzeitig bleibt der Reifeprozess. Sowohl auf als auch neben dem Feld. Rote Ampeln versteht Ball gern als Vorschlag, den er regelmäßig ablehnt. Nach einem Fan-Event im Oktober 2023 soll er mit seinem Auto zudem einen Jungen touchiert haben, der ein Autogramm ergattern wollte. Folge: Fußbruch. Die Mutter verklagte Ball und die Hornets.
Sportlich kommt eine Wurfauswahl hinzu, die das Optimum eher aus Erzählungen kennt. Über seine ersten drei Saisons nahm Ball sein Dribbling beispielsweise regelmäßig sehr früh auf, um einen langen Floater Richtung Ring zu schubsen. Ein beherzter Drive mit Abschluss am Brett verspräche in solchen Fällen höheren Erfolg. Das hatte der Point Guard zuletzt erkannt und dribbelte sich immer wieder tiefer in die Zone hinein.
Das Problem: trotz seiner Länge, die an Penny Hardaway erinnert, schließt Ball am Ring nicht verlässlich ab. Kontakt scheut er. Dafür versucht es sich um Gegner zu winden, als sei er die Reinkarnation des Plastic Man Stacey Augmon. Daran leiden die Quoten. 2022/23 traf er 48 Prozent seiner Würfe am Ring. Ligadurchschnitt wären 68 Prozent.
Gleichzeitig schwebte Rookie Brandon Miller ins Spectrum Center, ein Wing, wie ihn sich jede NBA-Franchise basteln würde, wenn sie nur könnte. Miller ist gut 2,05 Meter groß, kann verteidigen, passen, werfen, besitzt ein gutes Ballhandling. Rund um die Association spricht man in solchen Fällen gern vom Building Block.
Plötzlich fragen sich Menschen, ob am Ende Miller und nicht Ball der beste Spieler, das Gesicht der Hornets sei. Der Franchise Player um den herum Charlotte sein Team bauen sollte. The-Athletic-Autor Tony Jones bringt daher einen möglichen LaMelo-Trade ins Spiel.
"Ball zu traden, hieße, großes Talent, das gesundheitliche Probleme hatte, teuer zu verkaufen", schreibt er. Balls Starpower brächte Charlotte genügend Assets, um wirklich rund um Miller aufzubauen. Allein ist Jones damit nicht. Trade-Vorschläge bringen Ball wahlweise zu den Lakers oder Rockets, nach Golden State oder zu den Clippers.
Charlottes neuer Executive Vice Präsident Jeff Peterson und Neu-Coach Charles Lee könnten es als gern genommene Herausforderung sehen… oder sie freuen sich, dass sie bereits einen sehr guten Point Guard und einen sehr gut Wing mit Star-Potenzial haben. Um Miller aufzubauen, hieße schließlich auch, ihm einen fähigen Playmaker an die Seite zu stellen. Den zu finden, ist nicht unmöglich. Aber einen besseren als Ball?
Anders formuliert: "Die Größe, das Shooting, das Passing, die Übersicht. Wie er andere miteinbeziehen will. Genau das sehe ich gern in einem Point Guard, dass er das Spiel kontrolliert", sagte Peterson im Interview mit dem Charlotte Oberserver.
Und tatsächlich, bei aller, teils berechtigter Kritik, ist LaMelos Courtvision, sein Gespür für das Spiel, sein Passing-Arsenal, seine Technik schlicht elitär. Ball sieht Passing Lanes lange, bevor sie sich öffnen und weiß, wie er seinen Namensvetter genau dort hinbringt. Er kann Defenses manipulieren, so mehr Raum für seine Mitspieler kreieren und ihnen einfachere Würfe verschaffen. Lee bezeichnet Ball beim Charlotte Oberserver bereits heute als "Three-Level-Threat". „Er kann sowohl den Dreier treffen als auch einen Pocket Pass spielen, her kann einen Lob spielen oder in den Zone abschließen."
Umso wichtiger ist der große Schritt beim Finishing am Ring. Immerhin bedient Ball seine Teamkollegen gern nach dem Drive. Müssen gegnerische Defenses seinen Abschluss am Brett noch ernster nehmen, saugt Ball mehr Aufmerksamkeit auf. Mehr Raum für Miller und all die anderen. Dass Ball in die Zone kommen kann, steht außer Frage. Er ist vielleicht nicht maximal explosiv, dafür maximal shifty, besitzt ein gutes Gespür für Tempovarianten.
Hinzu kommt ein gern genommener Trend: Obwohl die vergangenen beiden Saisons enttäuschend verliefen, robbten sich Balls Quoten am Ring leicht nach oben, von 53 auf 56 Prozent. Dabei ging nur noch in neun Prozent der Fälle ein Assist voraus. In den Jahren zuvor waren es 20, 30 sowie 23. Übersetzt: Ball zieht mit mehr Nachdruck Richtung Korb, schließt dort immer noch unter Ligadurchschnitt, dennoch ein gutes Stück verbessert ab. Positive Schritte. Wenn auch kleine.
Am Ende scheint Ball Schwachstellen also tatsächlich zu erkennen und anzugehen. Womöglich hatte die gefühlte Stagnation wirklich ein gutes Stück mit den Verletzungen zu tun. Die in den Griff zu bekommen, ist natürlich nicht selbstverständlich, ebenso wenig unmöglich.
Mit neuem Front Office, neuem Coach, neuen Chairmen verfolgt Charlotte nun vielleicht auch eine klarere Strategie, baut gezielter um Ball und Miller auf. Denn, auch das gehört zur Wahrheit, mit stringentem Plan glänzten die Hornets in den letzten Jahren nicht, was allen Beteiligten die Entdeckung ihrer persönlichen Winning-Basketball-Formel erschwerte. Vielleicht entsteht sie nun unter neuen Voraussetzungen. Am Ende spielt schließlich alles zusammen. Das finale Urteil über LaMelo Balls Winning-Basketball-Fähigkeiten muss sich also noch etwas gedulden…
Max Marbeiter