05.11.2024, 09:37
Bucks nach Fehlstart Ligaschlusslicht
Sechs Spiele in Folge verloren. Das Gerüchtekarussell um Giannis Antetokounmpo dreht sich immer schneller. Was ist los bei den Milwaukee Bucks? Lässt sich die Negativserie schnell beenden? Hilft Khris Middleton - oder steht der Champ von 2021 vor langfristigen Schwierigkeiten? Der Versuch einer Bestandsaufnahme…
Giannis Antetokounmpo war nicht glücklich. Gerade hatte Milwaukees Saisonstart eine Wendung von "mit kleinem Makel" zu "besorgniserregend" genommen. "Momentan haben wir keine Identität", sagte der Finals-MVP von 2021 nach der Niederlage bei den Brooklyn Nets. "Wie gewinnen wir das Spiel? Verteidigen wir 48 Minuten lang? Bewegen wir den Ball 48 Minuten lang? Attackieren wir und spielen wir schnell für 48 Minuten - oder 36 Minuten und nehmen für die letzten 12 Minuten etwas Gas raus? Wir müssen eine Identität finden."
Nach drei Spielen Identitätskrisen zu kommunizieren, mutet selbst in einer Liga rasant an, deren Wesen eigentlich nur den Anschlag kennt. Gleichzeitig hatten die Bucks nicht nur in Brooklyn verloren. Wenige Tage zuvor misslang der Home-Opener gegen die Chicago Bulls, noch ein Team, dessen Saisonroute für viele in der Lottery endet. Und tatsächlich stellten sich schnell einige Fragen bezüglich der Ausrichtung, aber auch der Zusammenstellung der Bucks. Zumal die Niederlagenserie in den darauffolgenden Tagen auf sechs anschwoll und Milwaukee nach sieben Spielen am Ende der Eastern Conference steht.
Dabei sollte eigentlich einiges besser werden. Giannis und Damian Lillard wussten vor der Saison, auf wen sie sich einzustellen hatten. Zudem hatte Doc Rivers eine ganze Offseason, um seinem Team eine Identität zu verpassen. Die Neuzugänge Garry Trent Jr., Taurean Prince und Delon Wright würden das Ceiling zwar nicht Richtung Mond schubsen, helfen sollten sie dennoch. Dann stellte Giannis die Identitätsfrage; und Milwaukee verlor weiter.
Ursachenforschung beginnt naturgemäß in der Vergangenheit. Durch den Trade für Damian Lillard wollte sich Milwaukee tatsächlich neu ausrichten: mehr offensive Erdbebensicherheit, weniger Defense. Mit Jrue Holiday musste dafür ein Co-Star gehen, der das Team offensiv wie defensiv besser machte. Die Premierensaison misslang. Auch weil Giannis die Playoffs verpasste und Lillard während der ersten Runde nie fit war. Problematisch: Seit dem Dame-Trade haben die Bucks kaum Handlungsspielraum, das Team groß zu verändern.
Gleichzeitig berichtete ESPNs neue Gerüchte-Instanz Shams Charania, gegnerische Executives würden die Situation um Antetokounmpo genau im Auge behalten. Womöglich sei er tatsächlich zu haben, sollte das alles in Milwaukee nicht funktionieren. Derzeit funktioniert es nicht - und die Gerüchteschlinge zieht sich zu. Laut CBS-Sports-Reporter Bill Reiter hoffen Teams bereits darauf, Giannis entweder vor der Trade-Deadline im Februar oder zur Offseason aus Milwaukee weglocken zu können. NBA-Insider Marc Stein brachte die Warriors, Heat, Nets und Knicks als Interessenten ins Spiel.
Tatsächlich wirkt es, als hätte das Zusammenspiel aus mangelnder Flexibilität, spielerischer Schlagseite und Verletzungen die Bucks in eine Situation manövriert, der sich nur schwer entkommen lässt. Zumal Khris Middleton zwar hofft, bald zurückzukehren, seiner Verletzungsliste im Sommer aber zwei Knöcheloperation hinzufügte. Wie nah er seinem Leistungsmaximum von 2021 noch kommt, wie viele Two-Way-Lösungen er bieten kann, muss sich angesichts von Alter und Verletztenhistorie trotz vielversprechender Playoffs zeigen.
Deutlich wird derzeit, dass es ohne dritte Offensivoption kompliziert ist für die Bucks. Doc Rivers staggert Antetokounmpo und Lillard fleißig, damit immer einer auf dem Court steht. Das Problem: Kaum einer der Rollenspieler ist wirklich als zweite Option gemacht. Brook Lopez kann tröpfchenweise aus dem Lowpost scoren, saugt mit 36 aber nicht mehr maximale Aufmerksamkeit auf. Bobby Portis käme der Idee minimal näher, sucht jedoch nach seinem Scoring (12,4 Punkte, 47,6 Prozent FG, 22,2 Prozent 3FG).
Gary Trent Jr. könnte an dieser Stelle theoretisch helfen, das Feld für Lillard und Giannis breitzumachen. Nur hievt sich derzeit lediglich knapp ein Viertel seiner Dreier durch den Ring, seine Offense ist kaum existent. Wright macht kleine Dinge richtig, zum Scorer wird er nicht mehr. Ebenso Prince oder Pat Connaughton. So mangelt es Giannis und Dame regelmäßig an Unterstützung. Gegen Boston legten beide zusammen 65 Punkte auf, gegen die Cavs sogar 75. Gereicht hat es dennoch nicht.
"Wir müssen alle zusammenfinden", sagte Giannis nach der ersten Cavs-Niederlage daher und fügte an: "Wir müssen uns gegenseitig vertrauen." Wenn er seine Teamkollegen anschaue, sehe er, dass sie dazu bereit seien. "Du musst einfach vertrauen. Du musst vertrauen, dass es kommen wird." Zyniker würden nun anmerken, dass den Bucks auch nicht viel Anderes übrig bleibt. Den nächsten First-Round Pick können sie erst 2031 traden, was Deals zur unmittelbaren externen Verstärkung maximal verkompliziert. Will das Team nicht Gefahr laufen, Giannis wirklich zu einer Trade-Forderung zu verleiten, muss Hilfe von innen kommen.
Allein auf Middleton zu setzen, griffe dabei deutlich zu kurz. Zu viel wackelt. Ja Morant hebelte die Defense sogar sitzend via Alley-oop-Pass aus. Gleichzeitig funktioniert bislang auch offensiv wenig. Obwohl Antetokounmpo in seinen sechs Spielen - die zweite Niederlage gegen die Cavs verpasste er wegen einer Adduktorenverletzung - 31,7 Punkte auflegte, Lillard bei 27,6 Punkten im Schnitt steht. Beide Stars spielen (in Lillards Fall teilweise) herausragend. Dennoch hakt es. Sowohl mit als auch ohne Ball mangelte es an Bewegungen. Defenses kamen selten in Rotation, was komplizierte Würfen provozierte. Während der ersten sechs Spiele fielen nur 33,3 Prozent von Milwaukees Dreiern. Gerade die offensive Stagnation erschwerte Vieles unnötig.
Beim Blowout in Memphis erspielte sich Milwaukee mehr offene Würfe. Nur fielen sie nicht. 33 von 42 Dreiern prallten auf Ring oder Brett. Lillard, Trent Jr. und Prince trafen von draußen nur einen von 19 Würfen. Doc Rivers pendelte am Ende dennoch irgendwo zwischen Sarkasmus und minimalem Optimismus. Am Ende sei es die "wohl beste Make-Miss-Nacht der Geschichte" gewesen. "Ich glaube, niemand würde sich über die Dreier beschweren, die wir hatten. Sie waren weit offen. Zudem, fand ich, haben wir den Ball gut bewegt und sehr gute Würfe herausgespielt."
Ähnlich lief es im ersten Spiel gegen Cleveland, als Milwaukee zu Beginn all die guten Würfe traf und gegen die ungeschlagenen Cavs sogar davonzog. 46,2 Prozent ihrer 39 Dreier versenkten die Bucks - und eventuell sprächen einige nun vom Befreiungsschlag, hätte Donovan Mitchell am Ende nicht den Gamewinner eingestreut. So stand die fünfte Niederlage in Serie und die Erkenntnis, dass es defensiv kompliziert bleibt.
Clevelands Comeback im zweiten Viertel hatte unter anderem Sam Merrill angestachelt. Drei schnelle Dreier schenkte Clevelands Shooter den Bucks ein. Dabei sei er einer gewesen, den Milwaukee vor dem Spiel genau auf dem Zettel gehabt hätte. "Wenn er reinkommt", so Rivers, "kommt er aus einem Grund rein, und wenn er in der Ecke steht, steht er dort nicht lange. Sie werden ihm Blöcke stellen." Die Bucks wussten, was kommen würde. Verhindern konnten sie es nicht.
Generell tut sich die Defense schwer, in Bewegung, nach Drives richtig zu rotieren und Schützen dauerhaft zuzustellen. Zudem mangelt es Milwaukee weiter an Point of Attack Defense. Explosive Guards - und davon hat mittlerweile nahezu jedes Team einen - kommen immer wieder in die Zone. Die Defense muss sich bewegen, irgendwann kollabiert sie. Hinzu kommen halbherzige Closeouts, die beispielsweise den Bulls diverse offene Dreier schenkten.
Ein weiteres Problem benannte Rivers nach der Pleite in Memphis selbst. Gerade noch die Shotcreation gelobt, bezeichnete er die defensive Transition als erneut "grausam". Ein altes Problem. Bereits vergangene Saison erlaubte Milwaukee viele schnelle Punkte. Der Wechsel von Adrian Griffin auf Rivers brachte leichte Besserung. Mehr nicht. Sowohl gegen Memphis als auch Brooklyn kassierten die Bucks simpelste Transitionpunkte, teilweise nach eigenen erfolgreichen Würfen. Nach einem Rebound marschierte Nic Claxton einmal unbeachtet über den Court, eurosteppte um Brook Lopez herum und legte den Ball durch den Ring.
Laut Cleaning the Glass lässt Milwaukee pro 100 Ballbesitze 119,4 Punkte zu. Nur Toronto, Charlotte und Washington erlauben mehr. Das Point Differential steht bei -8,7 - und das bei einem Team, das maximal all in ist, das seinen Superstar zufriedenstellen will, um ihn weiter halten zu können. Trotz zuletzt komplizierten Spielplans drängt sich nach der sechsten Niederlagen in Serie daher die Frage nach unmittelbaren und langfristigen Zukunftsaussichten in den Vordergrund.
Derzeit ist das Team nicht nur alt, es wirkt auch so. Zumal kaum ein junger Spieler große Hilfe verspricht. Vielleicht abgesehen von Andre Jackson Jr., der in naher Zukunft Defense und Athletik liefern könnte. Offensiv verleitet er gegnerische Teams gleichzeitig noch dazu, ihn stehen zu lassen.
Womöglich handelt sich am Ende alles um einen schwachen Saisonstart eines soliden Teams, das sich irgendwann fängt. Ob die Bucks noch mal um den Titel mitspielen, steht derzeit jedoch maximal in Frage. Was wiederum Gerüchte um Antetokounmpos Zukunft befeuert. Muss Milwaukee am Ende einreißen? Ist das Titelfenster endgültig zu? Derlei Fragen dürften die Bucks mittelfristig beantworten. Für den Moment müssen sie erstmal klären, welche Identität sie durch die Liga tragen möchten.
Max Marbeiter