25.11.2024, 11:38
Nets-Star wirft weiter Fragen auf
Ausgerechnet in Philadelphia vergab Ben Simmons einen völlig offenen Leger und erntete direkt Spott. Doch das Problem liegt tiefer. Einer klaren Vorgabe seines Coaches kann der Australier derzeit offensichtlich nicht nahe kommen. Die echte Ursache bleibt verborgen. Zumal Simmons den Anschein von Normalität erwecken will. Was also machen aus der Situation bei den Brooklyn Nets?
Es war der gleiche Ring. Deshalb gleich Sagen von Elfen, Zwergen, Hobbits, Ringen und Schicksalsbergen zu bemühen, führte sicherlich ein Stück zu weit. Ein "Ausgerechnet" springt uns dennoch an. Ausgerechnet unter jenem Korb, unter dem er gut drei Jahre zuvor einen offenen Dunk an Matisse Thybulle weitergegeben hatte, der seither gewissermaßen für das Ende des ersten Teils seiner Karriere steht, erhielt Ben Simmons diesmal selbst den Ball. Jalen Wilson hatte seinen völlig offenen Teamkollegen bemerkt. Simmons stieg hoch… und legte den Ball gerade ans Brett. Kein Ringkontakt. Keine Punkte. Die NBA-affine Internetgemeinschaft versammelte sich zur Spontanfeier.
Simmons hatte es mal wieder getan, ein Play geliefert, das das Narrativ füttert, seine Karriere habe die Zielgerade größtenteils passiert, der Star von einst werde nie wieder der, der er einmal war, und sei nun mehr Minus- als Plusspieler. Um zu erkennen, dass der Simmons aus dem Spätherbst 2024 nur noch sehr wenig mit dem aus dem Sommer 2021 zu tun hat, benötigt es andererseits keine verlegten Layups (was ganz nebenbei auch ganz anderen passiert). Entscheidender ist, überspitzt formuliert, dass Simmons gezwungen war, diesen Wurf zu nehmen. Er war schlicht zu offen, um noch einmal zu passen.
Eigentlich hatte Brooklyns Coach Jordi Fernandez einen relativ simplen wie klaren Plan: mindestens zehn Würfe sollte Simmons diese Saison pro Spiel nehmen. Erreicht hat er diese Marke… noch gar nicht. Gegen die Hornets waren es einmal acht Würfe, dazu zehn Punkte. Season-High im Doppelpack. Er wolle, "dass er aggressiv ist und mehr Würfe nimmt", sagte Fernandez nach dem Spiel. "Das ist derzeit mein Ziel, dass seine Versuche nach oben gehen." Was banal klingt, bedeutet eine komplette Abkehr eingefahrener Muster bedeutet. Mehr als zehn Simmons-Würfe flogen seit Januar 2023 nicht mehr Richtung Ring. Selbst zu Sixers-Zeiten drückte der Australier durchschnittlich nur zehn- bis zwölf Mal ab, und nun scheint der Scoringimpuls komplett eingeschlafen zu sein. Derzeit nimmt Simmons 4,8 Würfe im Schnitt.
Dabei ist Fernandez bemüht, Simmons regelmäßig mit vier Schützen zu umgeben. Genügend Platz, genügend Raum für Drives, genügend Raum zur Entfaltung, so die Idee. Dass Nicolas Claxton wegen diverser Verletzungen unregelmäßig zum Roster zählt, dass auch Backup-Center Day’Ron Sharpe ausfiel, verkompliziert die Lage zusätzlich.
Immer wieder muss Simmons auf den großen Positionen aushelfen, was ihm sichtlich Unbehagen bereitet. Auch gegen die Sixers pendelte er zwischen Vier und Fünf, gab offensiv den Screener oder wartete im Dunkerspot. Dynamik entfaltete sich kaum. Auch, weil Simmons nach Screens selten bereitwillig und hart Richtung Zone abrollt, wo er aus der Bewegung seine immer noch vorhandenen Passfähigkeiten einsetzen könnte. Tröpfchenweise blitzen sie auf. Dann trifft Simmons binnen Sekunden gute Passentscheidungen, bedient per Bounce-Swing-Pass den offenen Jalen Wilson in der Ecke.
Als Scorer tritt er dagegen kaum auf. Aus Gründen. "Meine derzeitige Rolle ist etwas anders und ich versuche, mich anzupassen", sagt er. "Und klar, wenn Clax zurückkommt, ändert sie sich wieder. Ich glaube, mit der zweiten Fünf hatte ich einen ganz guten Rhythmus, dann verletzte sich Clax wieder und ich spielte wieder im anderen Lineup. Ich muss einfach meine Spots finden und im Sinne des Teams genau darin besser werden."
Gegen die Kings war Claxton zurückgekehrt. Gleichzeitig fiel Dennis Schröder mit Knöchelproblemen aus. Simmons startete als Lead-Playmaker - und mit gestiegenem Komfort- hob er gleich auch das Energielevel merklich an. Selbst als Screener rollte er so ab, dass ihm Keon Johnson den Ball in Bewegung servieren konnte. Simmons dribbelte kurz Richtung Baseline, passte danach in die Ecke. Nach einem eigenen einfachen Ballverlust sprintete er so schnell zurück, dass er den einfachen Leger verhindern konnte. Im nächsten Angriff schwang Simmons den Ball auf den offenen Noah Clowney in der Ecke. Diesmal fiel der Dreier.
Beinahe erinnerte die Szene an Philly-Simmons, also an jenen aus den Tagen vor dem 21. Juni 2021. Einerseits serviert der Australier, der vor der Saison nach seiner zweiten größeren Rücken-OP angab fit wie lange nicht zu sein, derlei Sequenzen in sehr kleinen Dosen. Andererseits scheint sich irgendwo in der Zone eine unsichtbare Mauer aufgebaut zu haben. Selbst wenn Simmons einmal dynamisch Richtung Ring startet, bricht er den Drive gern ab, um danach Schützen oben am Perimeter zu bedienen. 0,3 Freiwürfe zieht er derzeit pro Spiel. Ein Problem, das Coach Fernandez aber keine Sorgen bereitet. Am Ende hinge alles mit mehr Scoringaggressivität zusammen. "Es muss Schritt für Schritt gehen. Nimmt er mehr Würfe, wird er wahrscheinlich mehr gefoult."
Naturgemäß kennen Coaches ihre Spieler besser als jeder Schreiber, der tausende Kilometer entfernt versucht, Dinge zu verstehen. Vielleicht haben wir es also mit einem Prozess zu tun, der schlicht etwas mehr Zeit benötigt. Zumal Fernandez’ Ära in Brooklyn erst begonnen hat. Gleichzeitig zieht sich der Gesamtprozess bereits über einen langen Zeitraum hin.
Gewisse Tendenzen, sich ungern foulen zu lassen, den Pass dem eigenen Wurf vorzuziehen, begleiten Simmons schon länger. Seit jenem verhängnisvollen Pass auf Thybulle scheint jedoch noch mehr ins Rollen gekommen zu sein. Häufig wirkt Simmons, als wolle er unbedingt vermeiden, mit misslungenen Aktionen ungnädige Reaktionen zu provozieren. So entsteht eine gefühlte Lethargie und Teilnahmslosigkeit, die mal intensiver, mal weniger deutlich durchbricht. Zumal Simmons auch zu besten Zeiten eher zum Stoiker tendierte.
Manche unterstellen ihm sogar Arroganz, was mitunter uneinsichtige Aussagen noch befeuern. Selbst ein guter Simmons polarisierte. Ein schwacher, der noch wie ein All Star spricht, scheint zusätzlich zu provozieren. Nicht nur die Sixers-Fans, die ihn auch 2024 bei jeder Ballberührung ausbuhen. Simmons selbst hatte vor dem Spiel noch gesagt, er genieße in Arenen zu spielen, "in denen es laut ist, in denen die Leute buhen und all das. Es gehört zum Spiel dazu und ich liebe es."
Die Realität erwirkte nicht den Anschein, als pushe die Atmosphäre Simmons. Im Gegenteil. Einmal mehr fanden Worte und Spiel nicht zusammen. "Noch mal, wir brauchen von ihm, dass er reboundet und das Tempo anzieht und Mitspieler findet", sagte Fernandez nach dem Spiel. "Wir brauchen Aggressivität. Noch mal, es war wohl kein großartiges Spiel von ihm und von uns als Team."
Gleichzeitig schwingt bei vielen nach solchen Spielen der Vorwurf mit, wenn schon wenig klappt, solle Simmons wenigstens alles versuchen. Erstrecht bei seinem großen Vertrag, den er übrigens noch unterschrieb, als er ein regelmäßiger All-Defensive- und All-Star-Kandidat war. Dass er genau das selten tut und dabei kaum Einsicht, für einige auch kaum Realitätssinn zeigt, werfen Simmons viele vor.
Doch was ist Arroganz, vielleicht Ignoranz und was ist ein Panzer, den sich einer zugelegt hat, der Schwierigkeiten hat, die alte Mitte zu finden? Natürlich lässt sich der wahrgenommene Mangel an Einsatz, Drive und Einsicht kritisieren, lassen sich Interviews kritisieren, deren Aussagen an der Realität auf dem Court zerschellen. Gleichzeitig deutet vieles darauf hin, dass Probleme existieren, die weder Geld noch Wurftraining lösen können. Das anzuerkennen, nimmt der Kritik an gewissen Verhaltensmustern keine Substanz. Doch es erinnert daran, dass gewisse Dinge eventuell auch als Schutzschild dienen. Simmons’ Karriereplan sah sicherlich einen anderen Spannungsbogen vor. Irgendetwas scheint nachhaltig kaputt gegangen zu sein. Der Schaden wirkt mittlerweile irreparabel.
Über Häme dürften wir daher gern zwei Mal nachdenken. Trotz des Geldes. Apropos, kommenden Sommer läuft der große Vertrag aus. Welche Rolle Simmons danach in der Liga finden wird, erscheint derzeit ungewiss. Gewisse Qualitäten blitzen immer wieder durch, gleichzeitig geht einiges schief. So lange Simmons nur den Anschein erweckt, er wolle scoren, wenn es überhaupt nicht anders geht, bleibt es kompliziert…
Max Marbeiter