20.01.2025, 12:26
Grizzlies zurück in der Spitzengruppe
Mit Tuomas Isalo verpflichteten die Memphis Grizzlies zur neuen Saison einen neuen Lead Assistant - und der Einfluss des ehemaligen Bonner Coaches ist bereits jetzt deutlich. Memphis pflegt einen ganze eigenen Offensivansatz, nutzt eines der favorisierten Plays der Liga kaum und stellt trotzdem eine der besten Offenses der NBA. Wie sieht die Philosophie aus?
„Go, go, go!“ Ja Morant hat Devin Vassell den Ball noch gar nicht vollständig entrissen, da kommuniziert er bereits den nächsten Schritt. Wenig später sprinten die Grizzlies kollektiv in San Antonios Hälfte. Luke Kennard orientiert sich rechts von Morant in Richtung Dreierlinie. Brandon Clarke läuft leicht versetzt dahinter. Links hat Santi Aldama die gesamte Defense geschlagen und nur noch wenige Meter offenes Parkett vor sich.
Harrison Barnes bleibt die Wahl aus der Basketballhölle: Ja’s Zug zum Korb oder Aldamas offenen Korbleger verhindern. Erfolgsaussichten minimal. Morant entscheidet sich für den Lob, und Aldama legt den Ball direkt aus der Luft ohne Gegenwehr sanft durch den Ring.
Theoretisch ließe sich die Frequenz als simple, häufig gesehene Fastbreak-Episode abtun: Team A klaut Team B den Ball und versucht die Unordnung zu nutzen und mit möglichst geringer defensiver Gegenwehr schnell zu punkten. In Memphis steht sie in dieser Saison jedoch sinnbildlich für eine ganze Philosophie, für einen Basketballansatz, der sich in Teilen deutlich vom Rest der NBA abhebt.
Schnell spielten die Grizzlies schon immer. Schwebt Ja Morant Fuß über dem Gaspedal, stürzt es regelmäßig Richtung Anschlag. Dennoch ist seit dieser Saison etwas anders. Hatten die Grizzlies vor zwei Jahren - die vergangene Saison klammern wie angesichts all der Verletzungen und Sperren aus - noch die elfthöchste Pace, spielen sie in diesem Jahr schneller als jedes andere Team (Pace 105); mit gutem Abstand zur nächsten Franchise, mit echten Finals-Ambitionen (Denver, 101,17, Rang 5).
Mitverantwortlich dafür ist einer, der sieben Jahre die BBL prägte, danach Paris zum Strahlen brachte und seit dieser Saison Taylor Jenkins als Lead Assistant zur Seite steht: Tuomas Iisalo zog seine ganz eigene Basketballphilosophie mit in die NBA um und half damit, einige der größeren Schwierigkeiten der Grizzlies aus den vergangenen Jahren zu beheben.
Dass Memphis einem 42 Jahre alten Finnen so viel Vertrauen schenkt, hat gute Gründe. In den vergangenen Jahren wirkte es, als habe Iisalo den Basketball (mindestens in Europa) ein wenig entschlüsselt. Die Telekom Baskets Bonn übernahm er 2021, nachdem sie die Saison mit einer Bilanz von 12-22 als Zwölfter abgeschlossen hatten.
Im ersten Jahr unter Iisalo standen am Ende 26 Siege bei nur 8 Niederlagen und Platz zwei, zudem die Finalsteilnahme und der Coach of the Year Award. Es folgten 32 Siege bei nur 2 Pleiten, erneut die Finals und eine weitere Auszeichnung als bester Trainer des Jahres. Vor allem gewann Bonn die Champions League und verlor während der gesamten Saison international nur zwei Spiele.
Noch ein Stück dominanter gestaltete Iisalo seine erste EuroCup-Spielzeit mit Paris. 2023/24 gewannen die Franzosen 21 von 22 Spielen und holten Titel. Es lief. So gut, dass am Ende das beste Offensive Rating aller Zeiten stand (127,1). Nicht nur für den europäischen Basketball. Insgesamt. Vielleicht auch deshalb boten die Grizzlies, deren Offense in den vergangenen Jahren gerade im Halbfeld gern in Schwierigkeiten geriet, Iisalo die Stelle als Lead Assistant in einem auch sonst runderneuerten Coaching Staff an.
Basis seiner Philosophie ist das schnelle Spiel - was Memphis, das mit Morant nach Ballgewinnen auch in der Vergangenheit gern Geschwindigkeit nutzte, um möglichst ungeordnete Defenses zu entblößen, durchaus entgegen kommt. Wann immer die Grizzlies den Ball bekommen, machen sie das Spiel schnell.
Ohne Umwege soll er in Richtung gegnerischer Ring fliegen. Dass Memphis viele Spieler hat, die den Wilson nach dem Rebound direkt nach vorne bringen können, erleichtert das Vorhaben. Resultat: In der Ligageschichte brauchte kaum ein Team weniger Zeit, um entweder einen Angriff abzuschließen oder den Ball zu verlieren.
Geplagte Pariser Gegner dürften sich beim Anblick schmerzlich an die vergangene Saison erinnert fühlen. Quintessenz vieler Postgame-Interviews war damals der Überfall der Franzosen nach Ballgewinn. Gegenspieler diktierten gern, so etwas hätten sie noch nie gesehen. Sogar überrumpelt hätte sie Paris’ schnelles Spiel.
Ähnliches gelingt nun den Grizzlies. Auch, weil sie nicht nur in Transition attackieren. Der Druck auf die Defense nimmt im Halbfeld nicht ab. Wann immer sich eine Lücke für den Zug zum Korb auftut, sprinten Memphis’ Ballhandler hinein. Permanent attackieren die Grizzlies gegnerische Teams. "Defenses sind für fünf, sechs Sekunden gut", sagte beispielsweise Santi Aldama im Sommer. "Danach werden Spieler müde. Je zufälliger die Bewegung für die Defense ist, desto besser für uns."
Rang | Team | Pace |
---|---|---|
1 | Memphis Grizzlies | 105,0 |
2 | Chicago Bulls | 104,2 |
3 | Atlanta Hawks | 104,2 |
4 | Washington Wizards | 103,0 |
5 | Denver Nuggets | 101,2 |
Um genau diese Zufälligkeit herzustellen, attackieren die Grizzlies nicht nur. Häufig rotieren sie als Ganzes. "Wenn einer zum Korb geht, bewegt sich alles", stellte auch Draymond Green, immerhin Golden States defensives Mastermind, fest. "Sowas habe ich noch nie gesehen", staunte Green weiter. "Wenn einer in die Mitte zieht, rotiert das gesamte Teams."
Auf den Zug zum Korb folgt häufig der Pass nach draußen, nur um danach erneut Richtung Zone zu gehen. Entscheidend ist dabei, dass sich alle Grizzlies permanent positionieren und re-positionieren, Passing- und Driving Lanes öffnen. Gleichzeitig ziehen sie ihre Verteidiger mit, was das Aushelfen in Richtung des Ballführenden erschwert. Dabei kombinieren Sie Iisalos Idee mit der von Noah LaRoche, einem der anderen neuen Assistant Coaches, der eine ähnliche Offense am Division-III-College St. Joseph’s installiert hatte.
Ebenfalls interessant: Das in der Liga so gern gespielte Pick and Roll nutzen die Grizzlies seltener als jedes andere Team. Klar darf Morant seine Gravity immer wieder einsetzen, um zum Ring rollenden Big Men den Lob oder punktgenauen Pass zu servieren. Traditionelle On-Ball-Screens überlassen die Grizzlies ansonsten eher anderen Teams. Gleiches gilt für Handoffs.
Ganz ohne den Block am Ball kommt Memphis jedoch nicht aus. Wie Iisalos Teams in Europa versuchen die Grizzlies immer wieder, gute Verteidiger durch einen schnellen Screen vom Ballführenden wegzubekommen. Häufig kommen Bigs zudem für den Slip Screen - ein weiteres von Iisalo in der Vergangenheit gern eingesetztes Mittel - nach oben. Dabei deuten sie den Block für den Ballführenden an, gleiten dann aber nach außen. Die Folge: kurze Konfusion und Unordnung, die Memphis’ schnelle Guards direkt zum Attackieren verwenden.
Sind Bigs als Blocksteller involviert, nutzen sie gern den Gortat-Screen, für den sie rund um die Zone mögliche Helpdefender abschirmen und so den Weg zum Korb öffnen. Wegen seiner Größe füllt beispielsweise Zach Edey die Rolle immer wieder aus. Ebenso beliebt ist der Varejao-Screen, was nichts anderes bedeutet, als dass Blocksteller den Winkel im letzten Moment anpassen, um die Defense immer wieder zu überraschen.
Täuschen. Attackieren. Auslaugen. Permanent bearbeiten die Grizzlies gegnerische Defenses. Als weiteres Mittel zum Zweck dienen dabei Cuts. Gerade gegen absinkende Verteidiger sprinten Grizzlies Schützen aus der Ecke immer wieder Richtung Zone. Dort erhalten sie entweder den schnellen Pass oder positionieren sich danach neu. Alles wabert nahezu pausenlos von Seite zu Seite.
Warten dient nur selten als Option. Wie Iisalos Teams in Europa - und auch LaRoches College-Mannschaft - will sich Memphis beinahe ununterbrochen bewegen. Entsprechend ausgeruht müssen die Spieler sein, wobei Memphis’ neu entdeckte Tiefe besonders hilfreich ist. Kein Grizzly spielt im Schnitt eine halbe Stunde. Desmond Bane kratzt als Minuten-Leader gerade so an der Marke (29,4 Minuten). Eine weitere Iisalo-Konstante aus der Vergangenheit.
Wie so häufig sind all das situative Beobachtungen, die ein großes Ganzes formen. Iisalo ist zudem nicht der einzige frische Einfluss. Gleichzeitig sticht seine Philosophie immer wieder heraus, und selbst Draymond Green gab zu, eine solche Offense noch nie gesehen zu haben. Was die Grizzlies permanent unternähmen, sei schlicht "schräg". Jedoch nicht um des "Schräg sein" Willens.
Obwohl Morant bereits 18 Spiele verpasste, sein Scoring deutlich zurückgefahren hat (21,4 Punkte), besitzt Memphis mit 117,3 derzeit das fünftbeste Offensive Rating der Liga. Vor zwei Jahren lag es noch bei 114,7. Die Grizzlies spielen anders als in der Vergangenheit, anders als die meisten Teams. Doch es funktioniert. Auch, weil sich dem Ballführenden im Fastbreak binnen Sekunden gleich mehrere Optionen bieten, den Angriff zu einem schnellen Ende zu bringen…
Max Marbeiter