31.10.2024, 12:03
Erhöhte Foulrate der ersten Saisonwoche
Am Ende der vergangenen Saison deutete einiges darauf hin, dass die NBA ihren Schiedsrichtern eine lockerer Linie verordnet hatte. Weniger Pfiffe steigerten die Zufriedenheit. In der neuen Saison, so die Erwartung, würde daher alles so weitergehen. Stattdessen häuften die Refs in einigen Spielen Foulpfiffe an wie lange nicht. Woran könnte es liegen?
Nach dem All-Star Break wähnten sich nicht wenige im Paradies. Wahrnehmung und Fakten verschmolzen zu etwas Wunderschönem. Ob Drive, Abschluss am Ring, Geplänkel rund um den Perimeter, immer seltener ertönte ein greller Pfiff. Die Schiedsrichter ließen mehr laufen. Zwar brach das Scoring ein wenig ein, dafür floss das Spiel plötzlich mehr dahin. Weniger Unterbrechung, mehr Drama gewissermaßen. Die Liga selbst leugnete einen neuen Fokus auf weniger Foulcalls. Grundsätzlich, das bestätigte das League Office Teams via Memo, sollten Schiedsrichter die aktive Jagd nach Fouls jedoch eindämmen.
Nun gab Nuggets-Coach Michael Malone an, wenig von der neuen Linie mitbekommen zu haben, da "wir ohnehin nie Foulcalls bekommen" (nicht ganz von der Hand zu weisen: Trotz höchster Post-up-Frequenz landete Denver bei der Freiwurfrequenz auf Rang 22). Ein Millimeter Frust dürfte Malones Aussagen also begleitet haben. Gleichzeitig schmückte sich die Wahrnehmung mit Fakten. Sprachen Refs Spielern vor dem All-Star Break im Schnitt noch 46 Freiwürfe pro Spiel zu, waren es im Anschluss noch 40. Ein spürbarer Effekt, der positive Gefühle auslöste. Also würde die Liga den Trend in die neue Saison übersetzen, oder? Oder?
Ganz zur Freude von Malone fand sich Denver im Spiel gegen die Clippers während eines offensiv eigentlich ziemlich miserablen zweiten Viertels bereits nach gut zwei Minuten im Bonus wieder. Und das einen Tag nachdem sich die Raptors und Sixers 99 Freiwürfe geteilt hatten - ohne Joel Embiid. So häufig waren Teams in der Regular Season seit 2017 nicht mehr an die Linie marschiert. Doch damit nicht genug. Bereits mehrfach sprachen die Refs Teams kombiniert mehr als 70 Freiwürfe zu.
Gern ertönte die Pfeife dabei, obwohl das Auge nicht zwingend den ganz großen Kontakt wahrnahm. Insgesamt schnellte die Free Throw Rate über die ersten Tage gewaltig nach oben - und das, obwohl Teams häufiger von draußen abdrücken, sich damit seltener in kontaktfordernde Duelle auf dem Weg zum oder direkt am Ring involvieren.
Was ist also passiert? Besuchten Embiid und James Harden Adam Silver und teilten ihm mit, dass sie nicht mehr mitspielen würden, wenn die Pfeifen weiter so stumm blieben? Vielmehr, so mutmaßt auch John Hollinger von The Athletic, steht die erhöhte Foulrate in Zusammenhang mit einem Stichwort, mit dem NBA einst die Offense stimulieren wollte: Freedom of Movement. Offensivspieler sollen sich mit Ball frei bewegen, nicht durch Kontakt eingeschränkt werden dürfen.
"In den vergangen Jahren gab es einen Fokus auf Freedom of Movement", erklärt Hawks-Coach Quin Snyder gegenüber Hollinger. Das habe besondere Auswirkungen auf das Pick and Roll. Spieler und Coaches würden sich jedoch ohnehin immer wieder anpassen. "Wenn das jetzt etwas ist, woran wir uns anpassen müssen, werden wir das tun."
Hollinger weitet den Fokus allerdings noch etwas. Auch "Straight Line Pathways", wie die Liga das Konzept nennt, hätten großen Einfluss. Tatsächlich teilte die NBA sogar ein Video, in dem Head of Referee Development and Training Monty McCutchen den Ansatz genauer erklärt. Zu finden sind dort fünf Fälle des Straight Line Pathways. Bei drei soll ein Foulpfiff folgen, bei zwei nicht.
Im Grunde dreht sich vieles darum, dass der Defender den Weg des Drivers nicht mehr physisch erschweren darf, sobald der eine gerade Linie Richtung Ring gefunden hat: Lehnt sich der Verteidiger nach vorne, tritt in die Driving-Lane und gibt einen Bump mit, folgt ein Foul. Nicht pfeifen sollen die Refs, wenn der Defender seine defensive Position behält, den Driver - auch mit leichtem Kontakt - gewissermaßen begleitet und ihm so den Weg in die Zone erschwert. Kurz: Bewegt sich der Defender seitlich des Straight Line Paths, sollte alles in Ordnung sein. Tritt er in die Lane hinein und berührt den Angreifer, erwartet die Liga einen Pfiff.
Die Realität sieht dagegen auch einige Calls, bei denen der Defender mehr oder weniger Option Nummer eins wählt, die eigentlich nicht strafbare, den Driver nur leicht berührt. Immer wieder schreitet daher die Video-Review ein und nimmt Pfiffe zurück. Das wiederum stört den Fluss des Spiels. Beim Sieg der Sixers in Indiana zog sich die Schlussphase - natürlich auch aus anderen Gründen, die das Replay Center unbedingt zum Eingreifen "zwangen" - ins nahezu Unendliche.
Nun ist es häufig so, dass die Liga mit Blick auf das Officiating ihre sogenannten "Points of Emphasize" zu Saisonbeginn besonders hart durchzieht. Als die NBA 2010 ihre "Respect for the Game"-Initiative einführte, bestrafte sie zunächst nahezu jede etwas emotionalere Regung Richtung Schiedsrichter mit einem Technischen Foul. So flog Kevin Garnett - gut, kein optimales Beispiel für verbale On-Court-Disziplin - bereits während der Preseason mit zwei Techs vom Feld, als er sich nach den Beweggründen hinter einem Technischen Foul für Teamkollege Jermaine O’Neal erkundigte. Im Saisonverlauf ließen sich Refs jedoch auch wieder auf das eine oder andere Zwiegespräch ein.
Entsprechend kann sich alles über die nächsten Wochen wieder einpendeln. Vielleicht handelt es sich in einigen Fällen sogar schlicht um Zufall. Dass die Liga ihre Linie aus der zweiten Hälfte der vergangenen Saison derzeit offenbar nicht mehr konsequent verfolgt, ist dennoch schade. Im Paradies lässt es sich schließlich bestens aushalten.
Max Marbeiter