05.12.2024, 10:31
Grizzlies-Star zurück auf dem Parkett
Ja Morant ist zurück - und einiges scheint sich zu drehen. Ausgerechnet der vielleicht spektakulärste Spieler der Liga möchte ab sofort nur noch in Ausnahmefällen dunken. Dafür dirigiert Ja seine Memphis Grizzlies noch effektiver, wirkt noch kontrollierender. Auch defensiv soll der nächste Schritt folgen - und mit LeBron James legt sich Morant auch 2024 gern an…
Ja Morant dunkt nicht mehr. Vielleicht auch nur seltener. Oder anders. Während der Niederlage in Dallas hatte Morant plötzlich freie Bahn zum Ring. Kein Gegenspieler in der Nähe. Bilder von Sprungfedern, weit nach hinten gestreckten Armen, einem Ein-Man-Spektakel, das schon mal halb über Malik Beasley sprang oder Jakob Pöltl aussehen ließ wie Spud Webb, massierten das innere Auge. Das American Airlines Center bereitete die kollektive Ekstase vor. Doch Morant? Sprang am Ring sanft ab und legte den Ball behutsam mit zwei Händen durch die Reuse.
Fassungslosigkeit.
"Ich versuche überhaupt nicht zu dunken", erzählte Morant nach dem Spiel ESPN-Reporter Tim McMahon. "Ihr denkt, ich lüge. Ich meine es ernst." Nun hat der NBA vielleicht liebstes Ein-Man-Spektakel nicht die grundsätzliche Lust am Highlight-Reel verloren. Morant entdeckt schlicht den Pragmatismus.
"Manchmal werde ich einfach aus der Luft geholt und bekomme keinen Foulpfiff", fuhr er fort. "Danach falle ich länger aus, als ich sollte. Manchmal bekomme ich den Pfiff und lande trotzdem hart auf dem Boden. Nach dem Spiel spüre ich dann den Sturz. Deshalb wähle ich jetzt bewusster aus. Hey, zwei Punkte sind zwei Punkte. Ich erledige meinen Job. Nur darum geht es." Negative Reaktionen - einige Fans in Dallas verschafften ihrer Enttäuschung tatsächlich hörbar Luft - seien da in Ordnung.
In bislang zwölf Spielen dunkte Morant tatsächlich erst vier Mal. Gleichzeitig bezahlte er einen Alley-oop-Versuch mit einer Hüft-Subluxation sowie Becken-Zerrungen. Zehn Spiele musste er pausieren. Während seiner fünf Jahre in der NBA verpasste Morant aufgrund unterschiedlicher Verletzungen insgesamt 104 Partien. Nicht wenige waren Resultat seines spektakulären Spiels und/oder harter Landungen.
Nachdem Morant vergangene Saison nach abgesessener 25-Spiele-Waffenliebhaber-Sperre kurzzeitig zurückgekehrt war, wegen einer Schulterverletzung relativ schnell für den Rest der Spielzeit ausfiel, fragte sich die Liga durchaus, wie er wohl zurückkäme. Die gute Nachricht vorab: Er mag den Dunk nicht mehr aktiv provozieren, die theoretische Möglichkeit jedoch bleibt.
Morant zählt weiter zu den explosivsten Spielern der Liga, kommt an Gegenspielern vorbei, als überraschte er sie beim Sonntagmorgenspaziergang. Gleichzeitig wirkt er kontrollierter - vor allem noch kontrollierender. Aktiv dirigiert Ja seine Offense, spricht viel, um wenig später genau das Play zu bekommen, das er gern hätte: Santi Aldama und Marcus Smart hielt er in Dallas zum Tausch der Ecken an. Aldama sollte danach Richtung Ring cutten. Als der Spanier genau das tat, servierte ihm Morant nach dem eigenen Drive einen punktgenauen Alley-oop-Pass. Dabei stellte er sicher, dass kein Gegenspieler in der Nähe war. Aldama sollte sich beim Dunk schließlich nicht verletzen.
Überhaupt nutzt Morant seine Geschwindigkeit gern, um gesamte Defenses zu versammeln. Regelmäßig bilden sich Trauben an Spielern um Ja, während sich ein Mitspieler entspannt Richtung Ring schleicht, um einen simplen Drop-Off-Pass später unbedrängt hochzusteigen. Morant, so wirkt es, nutzt seine Explosivität derzeit noch mehr als Stilmittel der Kontrolle. Jederzeit scannt er den Court auf der Suche nach Vorteilen für die Grizzlies, die noch dazu kollektiv den Ring attackieren. 59,2 Punkte machen sie in der Zone, Toronto auf Rang zwei kommt auf 56,8.
Vieles beginnt mit Morant. Dass sein Supporting Cast so tief ist, wie vielleicht noch nie, hilft immens. In nahezu jeder Situation findet Ja passende Outs, die er wiederum aktiv in beste Position bringt. Jede Defense respektiert Morants Drive. Umso besser lassen sich Gegenspieler durch Tempowechsel manipulieren. Genau das nutzt der Playmaker. Dazu kommt seine hervorragende Fußarbeit, die ihn schon um Klay Thompson herumtanzen, sich unter seinen Armen durchtauchen lässt, als sei er überhaupt nicht da.
Gesunken ist der Fokus auf das eigene Scoring. Morant punktet so wenig wie seit seiner Sophomore-Saison nicht mehr (22 Punkte im Schnitt). Dafür bedeuten 8,6 Assists einen Karrierebestwert. Laut Cleaning the Glass assistiert Ja 44,8 Prozent der erfolgreichen Würfe seiner Mitspieler, womit er im 97. Perzentil liegt. Vielleicht explodiert Morant etwas weniger als früher, dafür kontrolliert er mehr.
Dank Memphis’ Tiefe und den guten Playmaking-Leistungen von Scotty Pippen Jr., Luke Kennard und zuletzt auch Marcus Smart muss Morant gleichzeitig nicht. Derzeit spielt er nur 27,8 Minuten im Schnitt. Karrieretiefstwert. Einerseits schont das den Körper. Andererseits lässt sich der Fokus auf das Wesentliche schärfen. So möchte Ja nun auch defensiv seinen Impact verstärken.
Coach Taylor Jenkins forderte seinen Star vor der Saison heraus, ein noch besserer Verteidiger zu werden. Morant möchte annehmen. "Natürlich weiß jeder, was ich offensiv mit meiner Athletik machen kann", sagte er nach einem Sieg gegen die Pelicans. "Ich denke, das kann ich auch ans defensive Ende übersetzen."
Tatsächlich wirkt es, als versuche Morant, Gegenspieler deutlicher seine Präsenz spüren zu lassen. Um Blöcke kommt er nicht immer direkt herum, dafür hängt er sich im Anschluss gern an seinen Defender, um den Ball von hinten wegzustupsen. "Ich glaube, so gut habe ich ihn sechs Saisons noch nicht gesehen", sagt ein zufriedener Jenkins. "Größtenteils jede einzelne Nacht bringt er defensiv im Eins-gegen-Eins großartigen Einsatz."
Morant ist kein völlig anderer Spieler. Im Gegenteil. Er entwickelt sich - und bleibt sich gleichzeitig in einem Punkt treu. Heißt: Morant tritt weiter auf, als sei er der beste Spieler auf dem Court und lässt das nach gelungenen Aktionen gern Beteiligte und Beobachtende wissen. Exzessive Gesten, kleine und größere Provokationen gehören weiter dazu.
Als er Gabe Vincent per Turnaround-Jumper überwand, zog Ja die Too-Small-Geste so in die Länge, dass sich die nachfolgenden Sendungen beinahe um mehrere Minuten verzögert hätten. Nachdem LeBron James Morant kurz darauf einen Tropfen seiner eigenen Medizin verabreichte, gab der ihm wenige Possessions später einen Schubser in den Rücken zurück. Technisches Foul.
Das Spiel selbst entschieden die Grizzlies deutlich für sich. Danach soll sich Morant vor Reportern als neuer König bezeichnet haben, was die Lakers - man mag sich ohnehin nur bedingt - intensiv angesäuert zur Kenntnis nahmen. Eine Woche später in L.A. folgte die Retourkutsche. Die Lakers gewannen.
Bei seiner Statur benötigt Morant das größtmögliche Vertrauen in die eigene Stärke. Er muss und möchte Courts einnehmen, Gegnern klarmachen, dass sie nicht auf seiner Stufe stehen -obwohl sie vielleicht deutlich größer oder kräftiger sind. So wirkt es jedenfalls von außen. Es sieht aus, als sei das das Fundament, auf dem Morants Spiel explodiert. Dieser latente Hang zum Selbstbewussten, das für Beobachtende bisweilen in die Arroganz kippt, dürfte also bleiben. Auch wenn Morant ab sofort kaum noch dunkt…
Max Marbeiter