04.02.2025, 09:40
Youngster gibt den Rockets neue Optionen
Die Houston Rockets schlugen zuletzt reihenweise Topteams und zählen längst selbst zur Elite. Dabei fehlen ihrer Offense eine echte erste Option und Shooting. Kompensieren können die Rockets alles wegen eines eigenen Ansatzes, ihrer Defense und zuletzt Amen Thompson, der die Liga mit Höchstgeschwindigkeit einnimmt.
Und plötzlich fühlte sich Amen Thompson wie Kobe. Immerhin sei das sein erster Gamewinner gewesen, sagte er er breit grinsend nach dem Sieg der Rockets in Boston. Kurz zuvor war er gegen Jaylen Brown Richtung Zone gezogen. Als der Finals MVP den direkten Weg zum Ring versperrte, tanzte Thompson zur Mitte, verschaffte sich damit den entscheidenden Raum und streichelte einen kurzen Floater durch die Reuse. Der Schlusspunkt hinter das nächste Ausrufezeichen der Rockets.
15 seiner letzten 22 Spiele hat Houston nun gewonnen. Allein in den vergangenen knapp drei Wochen schlugen die Rockets dabei neben dem Meister zwei Mal die Cavs, gewannen ebenfalls doppelt gegen die Memphis und brachten 20 Punkte zwischen sich und Denver. Geht es einzig um Siege und Niederlagen, sind sie mittlerweile das fünftbeste Team der Liga. Dabei begann das Jahr 2025 eigentlich mit einem Rückschlag.
Anfang Januar brach sich Jabari Smith Jr. im Training die Hand. Ein Team, das auf Tiefe, Rebounding und Defense setzt, verlor ausgerechnet den Starter, dessen Mischung aus Länge und Defense und solidem Shooting essenziell wichtig für die erste Fünf und die Rockets allgemein war. Spiel eins ohne Smith fand außerdem ohne Thompson statt. Der Sophomore saß eine Zwei-Spiele-Sperre ab, kehrte gegen die Lakers aber zurück und nahm direkt den Platz als Starter ein. Resultat: 23 Punkte, 11/19 aus dem Feld und 16 Rebounds.
Seither stehen zwölf Siegen nur vier Niederlagen gegenüber. Thompson als Starter führt fort, was Thompson, der Energizer begonnen hatte: Gemeinsam mit Tari Eason terrorisierte er von der Bank nahezu jede gegnerische Offense. Mit ihrer Mischung aus Druck am Ball, unmenschlich schnellen Händen (Thompson) und einer Helpside-Defense, die bisweilen an eine von irgendwo herbei schnellende Boa Constrictor erinnert, deren Schlinge sich blitzschnell zuzieht, bildeten die "Terror Twins" das Fundament für eine der am kompliziertesten zu bespielenden Defenses der Liga.
Thompson selbst hat seine Hände dabei überall. Gegnerische Point Guards hetzt er gerne über den gesamten Court, schlägt dabei immer wieder nach dem Ball, um ihn seinem Gegenspieler irgendwann zu entreißen. Gleichzeitig hält er sich beharrlich vor seinem Gegenüber und kommt umgehend wieder in Position, sollte ihn ein Block doch einmal aus dem Gleichgewicht bringen. Überhaupt die Explosivität. Sie erlaubt Thompson, Würfe zu blocken, die schon Richtung Ring segeln, während er selbst noch am Boden ist. Thompson springt unglaublich schnell und funktioniert daher auch als Helper exzellent. Hinzu kommen hervorragende Instinkte, dank derer er immer wieder rechtzeitig hinzueilt, selbst wenn er nicht direkt ins Play involviert zu sein scheint.
Ähnlich wichtig für Houston: Thompson pflegt einen latenten Hang zum Offensiv-Rebound und trägt damit entscheidend zur Offense der Rockets bei. Ligaweit hat kein Team eine bessere Offensive Rebound Percentage (35,9 Prozent), keines holt mehr Contested Offensive Rebounds (8,6). Anders formuliert: Die Rockets attackieren das offensive Brett, sichern sich so immer wieder zweite, dritte, vierte Wurfgelegenheiten. Einerseits, weil sie können, andererseits, weil sie müssen.
Dass sich Thompson Mitte der Saison erstmals wie Kobe fühlte, hat auch einen Grund. Die Rockets funktionieren als Kollektiv. Sie setzen gegnerische Offenses maximal unter Druck, um nach Ballgewinnen schnell Richtung gegnerische Zone auszuströmen. 19,2 Prozent ihrer Angriffe schließen die Rockets in Transition ab (Rang 8). Ein weiteres Standbein ihrer Offense.
Der Fokus aus das große Ganze bedingt sich einerseits durch Houstons Tiefe, andererseits aus dem Fehlen einer klaren ersten Scoring-Option. Lange knackte kein Rocket über die Saison die 20 Punkte im Schnitt. Dank eines heißen Januar (25,7 Punkte, 47,4 Prozent FG, 42,1 Prozent 3FG bei 8,6 Versuchen) durchbrach Jalen Green nun die Schallmauer. Alperen Sengün klopft halbschüchtern an (19,1 Punkte).
Grundsätzlich fragte der Tenor im Laufe der Saison jedoch, wie Houston in engen Spielen vorgehen würde, wenn nicht klar sei, wer am Ende Entscheidungen treffe und Würfe nehme. Zumal nur zwei Teams unpräziser von draußen werfen als die Rockets (34,2 Prozent 3FG). Unentschlossenheit und Platzmangel, so die Annahme, würden Houston gerade in den Playoffs, aber auch in engen Spielen, gegen gute Teams, vor eventuell unlösbare Probleme stellen.
Die Antworten für die Postseason stehen natürlich noch unter Verschluss. Sowohl gegen Boston als auch zweimal gegen die Cavaliers war es zuletzt jedoch knapp. Immer gewann Houston. Paradox dabei ist, dass die Rockets trotz des Mangels an einer klaren ersten Scoring-Option, trotz des überschaubaren Shootings eine Top-10-Offense stellen (114,2 Offensive Rating, Rang 10). Außerdem interessant: Im Halbfeld hat Houston merklich Schwierigkeiten (nur Platz 25).
Gegnerischen Teams verbarrikadieren gern die Zone, erschweren damit den Weg Richtung Ring. Gleichzeitig bewegen sich die Rockets abseits des Balls nicht mit letzter Konsequenz, während sie den Offball-Screen als Mittel zum Abschluss seltener nutzen als jedes andere Team (nur in 1,8 Prozent der Fälle). Sengün darf dafür gern in den Post, um von dort entweder abzuschließen oder seiner Passfähigkeiten nutzen. Mitunter stagniert es. Teilweise fehlt die Idee. Immer wieder hängt viel daran, dass jemand heißläuft. Beispielsweise Fred VanVleet - oder wie in Boston Dillon Brooks, der mit zehn Dreiern einen Karrierebestwert aufstellte.
Positiv formuliert wissen gegnerische Teams nicht zwingend, was, beziehungsweise wer da diesmal auf sie zukommt. Den Cavs schenkte Cam Whitmore im ersten Duell binnen sechs Minuten zehn Punkte ein. Im zweiten Aufeinandertreffen legte Green 26 Punkte auf. In Boston explodierten Thompson und Brooks. "Das zeigt unsere Tiefe", kommentierte Thompson Brooks’ Leistung gegen die Celtics. "Für uns ist es wichtig, dass einer vorangeht. Dillon ist durchgedreht. Ohne ihn wären wir nicht mal im Spiel gewesen."
Auf seine Halbfeld-Offense kann sich Houston nicht immer verlassen. Daher schwärmen die Rockets aus. Daher überfallen sie gegnerische Offenses hinten, um dann möglichst schnell zu Abschlüssen zu kommen. Daher attackieren sie gern ungeordnete Defenses. Gleichzeitig zeigte Thompson in den letzten Wochen immer wieder, dass da eventuell auch ohne Wurf etwas möglich ist. Den Dreier gibt er auch in Jahr zwei noch regelmäßig an der Garderobe ab (25 Prozent 3FG). Gleichzeitig benötigt er ihn nicht zwingend.
In den 10 Spielen als Starter kommt Thompson auf 17,9 Punkte bei 54,2 Prozent aus dem Feld, 10,3 Rebounds und 4,3 Assists. Was ihn dabei so besonders macht, ist sein unglaublich hohes Maß an Aggressivität. Wie er Ballführende hinten bearbeitet, so attackiert er auch Defenses nahezu pausenlos. Immer und immer wieder zieht Thompson Richtung Zone, und Verteidiger müssen aufpassen. Um seine Geschwindigkeit einzudämmen, braucht es häufig mehrere. Das öffnet Raum.
"Ich habe auch einen wie Ben Simmons gecoacht, bei dem sie versuchten, ihm die Zone nehmen", erklärt Ime Udoka das Besondere an Thompson, "aber er ist so schnell und explosiv, dass wir ihn überall in Aktionen involvieren können und er immer noch Richtung Ring kommt."
Anders als gerade Simmons sucht Thompson dabei auch den eigenen Abschluss. Gleichzeitig besitzt er die Übersicht, um kollabierende Defenses mit einem gut getimten, präzisen Pass zum endgültig zu Boden zu bringen. Auch aus dem Pick and Roll heraus. Dazu schließt Thompson in der Zone verlässlich ab. Laut Cleaning the Glass trifft er 73 Prozent seiner Abschlüsse am Ring (85. Perzentil unter Wings). Noch interessanter: 44 Prozent seiner Würfe aus der Mitteldistanz rutschen durch die Reuse (70. Perzentil), aus der nahen Mitteldistanz - sprich, aus der klassischen Floater-Entfernung - sind es sogar 46 Prozent.
Immer häufiger beginnt für die Rockets vieles mit einem defensiven Thompson-Play, ehe er vorne den Schlusspunkt setzt. "Er lernt alles nebenbei", so Udoka. "Bereits letztes Jahr, als er (nach Alperen Sengüns Verletzung) die letzten 18 Spiele startete, zeigte er erste Anzeichen. Jeder, der uns zugesehen hat, weiß natürlich, was er drauf hat, und jetzt bekommt er die Chance, es als Starter, mit mehr Minuten noch intensiver zu zeigen."
Ein wenig wirkt es, als beschleunige Thompson derzeit auch die Entwicklung der Rockets. Sind sie damit bereits ein Contender? Einiges hängt auch davon ab, ob Green seine Leistungen diesmal länger konservieren und noch konstanter scoren kann. Ebenso, ob Sengün regelmäßig dominant auftreten kann. Laut Gerüchten würden die Rockets mit Robert Williams zudem gern einen athletischen Ringbeschützer verpflichten.
In jedem Fall scheint es, als sei das Team, dem viele durchaus den Schritt in die Playoffs zutrauten, seiner Entwicklung einen Schritt voraus. Dank erstickender Defense und einer unorthodoxen Offense, die sich in den Playoffs, wenn sich alles etwas mehr ins Halbfeld verschiebt, natürlich beweisen muss. Für den Moment fühlen sich die Rockets großartig, wie Thompson nach dem Boston-Spiel sagte. "Wir haben das Gefühl, wir können jeden schlagen." Genau das dachte auch Kobe.
Max Marbeiter