08.11.2024, 09:31
Golden State mit Bilderbuchstart
Die Golden State Warriors rauschen durch die ersten Saisonwochen, gewannen sogar beim Meister aus Boston. Einiges erinnert an alte Zeiten, und doch ist vieles neu. So neu, dass sich alles nicht mehr auf Stephen Curry konzentriert. Die Ursachen: ein frischer Offensivansatz, eine neue Defense, Variabilität - und Buddy Hield…
Neemias Queta hatte die letzten Minuten zu seiner Bühne gemacht. Sobald sich der Ball in Ringnähe bewegte, war Bostons Big bereits das. So auch, als Stephen Curry per Layup eine Antwort auf einen Derrick-White-Dreier suchte. Queta verweigerte sie. Der TD Garden stand Kopf, und die Anzeichen verdichteten sich, dass Golden States Erfolgsgeschichte der ersten Saisonwochen ein zwischenzeitliches Ende nehmen würde.
Wenig später passierte jedoch etwas, das Erinnerungen ausgrub, die längst verschüttet zu sein schienen. Zunächst gelang Curry der Steal. Danach landete der Ball bei Andrew Wiggins. Jenem Andrew Wiggins, der die Warriors 2022 mit zur Meisterschaft geführt, im Anschluss jedoch schwere private Zeiten durchlebt und daher auf dem Feld selten geglänzt hatte. Längst waren Fragen aufgekommen, die das Geschäft in solchen Fällen zu gern stellt: Ob Wiggins je wieder einen wertvollen Beitrag zu Winning Basketball leisten würde, stand dabei im Zentrum.
Er kann. Wiggins zog zum Brett, suchte den Kontakt zu Jayson Tatum und legte den Ball durch den Ring. Wenig später ließ sich Curry beim Dreier foulen, traf alle Freiwürfe. Insgesamt brachte Golden State mit einem 11-2-Run genügend Raum zwischen sich und die Celtics, um Buddy Hields Dreier rund 45 Sekunden vor dem Ende als Dagger verbuchten zu können. Die Warriors besiegten damit nicht nur den amtierenden Champion, gleichzeitig gewannen sie selbst ihr fünftes Auswärtsspiel der Saison und haben auch nach acht Partien erst eine verloren.
Sind etwa die alten Warriors zurück? Irgendwie ja, irgendwie nein. Skeptiker markieren das Spiel in Boston gern als Golden States ersten echten Test der Saison. Nun warten Cleveland, OKC, Dallas und Memphis. Gleichzeitig wecken das Selbstverständnis der Auftritte, die Zielstrebigkeit und das Vertrauen in das eigene Konzept Erinnerungen. Auch die Bewegung, die Backdoor-Cuts, das Shooting - all das wirkt, als hätten wir es in nicht allzu ferner Vergangenheit bereits gesehen.
Beinahe erscheint es sogar, als trieben die Warriors einst lieb gewonnene Stilmittel auf die Spitze. Beispielsweise stehen sie auf der Anklageliste meistens relativ weit oben, sobald Beschwerden über die immer reißendere Dreierflut im Ligabüro eingehen. Tatsächlich nimmt Golden State noch einmal knapp drei Triples mehr als vergangene Saison (41) und steht Association-weit damit auf Rang vier. Dass 39,3 Prozent der Versuche auch durch den Ring rutschen, vereinfacht die Argumentation, es handle sich dabei schlicht um eine Notwendigkeit.
Zudem ist das einst so geliebte Konzept der "Strength in Numbers" zurück. 13 Spieler setzt Coach Steve Kerr mindestens 12,5 Minuten im Schnitt ein, verteilt die Spielzeit dabei so, dass keiner mehr als 28 Minuten spielt. Curry beispielsweise steht durchschnittlich lediglich 27,6 Minuten auf dem Feld. Mit 36 Jahren hilft das, Kräfte zu konservieren, um das Spiel dann so zu entscheiden, wie er es in Boston tat.
Gleichzeitig gräbt sich Kerr nicht tief in seine Rotation um des Grabens Willen. Ihre Tiefe schenkt den Warriors Vielseitigkeit. Sie können klein und schnell spielen, ebenso auf Länge setzen. Sie haben athletische Lineups mit slashenden Wings (Wiggins und Jonathan Kuminga), ebenso wuselige Guards mit Hang zum schnellen und erfolgreichen Distanzwurf. Golden State besitzt Optionen für das Catch and Shoot, mit Curry, Hield und Moses Moody, der seinen Wurf noch einmal deutlich verbessert hat, zudem Movement Shooter, die aus der Bewegung binnen weniger Augenblicke abdrücken können.
Minutenleader Brandin Podziemski, der Boston krankheitsbedingt pausierte, macht von allem ein bisschen - und das ziemlich gut.
Gerade Hield hinterlässt in den ersten Wochen zudem einen Eindruck, den so nicht unbedingt alle erwarteten. 21 Punkte legt der Guard im Schnitt auf, trifft dabei über die Hälfte (50,7 Prozent) seiner 9,1 Dreier pro Spiel. Hield sprintet um Blocks, cuttet, drückt binnen Millisekunden ab. Dabei begann alles nicht einmal optimal. Von seinen ersten 14 Dreiern im Chase Center traf Hield nur 2. Gegen die Pelicans ließ Kerr daher sogar Lindy Waters die zweite Hälfte starten. Hield nahm es als Ansporn. Seine knapp 12 Minuten in der zweiten Hälfte nutzte er zu 25 Punkten und drückte all seine 4 Dreier des Schlussviertels durch den Ring.
"Es ging nur darum, dich selbst zu finden", sagte Hield nach dem Spiel. "Darum, alles andere auszublenden und zu vertrauen, dass du alles herausfinden wirst, wenn du zurückkommst." Sauer war Hield übrigens nicht. Waters und Moody verdienten schlicht ebenfalls eine Chance, sagte er. Tatsächlich kommt er seit diesem Spiel von der Bank und liefert ab.
Ein ähnliches "Schicksal" ereilte Kuminga. Während seiner ersten drei Spiele durfte der Forward noch starten. Nach Currys Verletzung setzte Coach Kerr jedoch auf mehr Spacing und brachte Kuminga von der Bank. Vor dem Spiel bei den Pelicans habe er ihm gesagt, dass er viel spielen werde, sagte Kerr im Anschluss. "Es geht um Kombinationen und darum, zum Start etwas mehr Spacing zu haben", fuhr er fort. "Wichtig ist, alles so herumzuschieben, dass wir am Ende die richtigen Fünfer-Gruppen haben."
Ganz glücklich war Kuminga mit der Entscheidung nicht. Gleichzeitig legt er seither 16,1 Punkte bei 48,2 Prozent aus dem Feld auf. Möglichen Frust versteht Draymond Green. Er befürwortet ihn sogar: "Ich will nicht, dass er gern von der Bank kommt", sagte er. "Er glaubt, dass er ein Superstar ist. Ich glaube, dass er ein Superstar ist. Wenn du das glaubst, sollte es für dich nicht ok sein, von der Bank zu kommen." Es sei wichtig, "wie du reagierst." Kuminga reagierte mit Leistung, was wiederum für die Warriors als Team spricht.
Das Gefüge funktioniert derzeit. Auch, weil jeder seine Chance bekommt, weil jeder seine Rolle hat - und weil einiges am Ende doch etwas anders ist als während der ersten Ära. Zwar basiert vieles auch heute auf Bewegung, Backdoor-Cuts und schnellen Entscheidungen, gleichzeitig hat Kerr das Spiel vereinfacht. Kevon Looney und Trayce Jackson-Davis, die beiden Bigs, beginnen viele Aktionen mit Handoffs, das Pick and Roll gewinnt an Bedeutung. Dafür hängt weniger von Curry (21,2 Punkte) und seiner Anziehungskraft für gegnerische Defenses ab - wenngleich sie weiterhin vorhanden ist und Steph trotz kurzer Verletzungspause hervorragend in die Saison kam (42,2 3FG bei 9 Versuchen).
Dazu kommen Blöcke. Kein Team screent mehr als die Warriors. Ein Beispiel: Gegen die Celtics stellte Gary Payton einen Offball-Screen für Curry und cuttete danach direkt Richtung Ring. Währenddessen erhielt der nach oben rotierende Steph den Pass von Draymond und bediente umgehend Payton. Kein Celtic am Ring, easy Two. Wenig später verdiente sich Payton als blitzschneller Rollman im Pick and Roll. Erneut entstand ein einfacher Abschluss am Ring.
Wichtig in jeder Situation: Auf den Ball aufpassen. Unterliefen den Warriors in der Vergangenheit beinahe aus Prinzip diverse Ballverluste, sollen sie Turnover nun bewusst minimieren. Diese Maxime gab Kerr vom Start des Trainingscamps an vor. "Wir können nicht dasselbe Team wie vor fünf, sechs Jahren sein und fünf, sechs Possessions abgeben, weil wir Chaos stiften wollen." Gegen Boston erlaubte sich Curry zu Beginn einen leichtsinnigen Ballverlust, als er sich am langen Outletpass versuchte. Kerr ließ es ihn deutlich wissen. Boston habe in der zweiten Halbzeit 20 Dreier mehr genommen als GSW, "da ist es schwer zu gewinnen, wenn du Possessions wegschenkst.“ Da sei er bei Curry und Green sehr deutlich gewesen.
11 Ballverluste waren es am Ende in Boston. Die Celtics leisteten sich zwar nur einen mehr, gleichzeitig machten sie regelmäßig Bekanntschaft mit einer neuen Stärke der Warriors. Unter Defensive-Coordinator Jerry Stackhouse zieht der Champion von 2022 defensiv deutlich stärker an. Vor allem der Blitz ist ein gern genommenes Stilmittel. Kommt der Screen, setzen zwei Defender den Ballführenden intensiv unter Druck. Entscheidungen fallen so deutlich schwerer.
Zumal die Warriors dahinter extrem diszipliniert sind und schnell rotieren. Selbst wenn der Pass aus dem Blitz gelingt, steht am Ende nicht zwingend ein offener Wurf. Ein, zwei Mal gelang es Boston. Doch es blieb die Ausnahme. Hield fügt sich in den Verbund ein, Curry nutzt immer wieder seine schellen Hände - als Koordinator glänzt Green, der mal wieder auf Defensive-Player-of-the-Year-Niveau unterwegs ist.
So nahm Golden States Defense der sonst so erdrückenden Offense des Meisters größtenteils den Fluss. "Wir fliegen umher", sagte Kevon Looney hinterher. "Wir waren sehr physisch. Sie vergaben einige Würfe. Sie vergaben einige Dreier. Aber wir haben dafür gesorgt, dass sie sich unwohl fühlten. Ich hatte das Gefühl, dass wir sie von ihren Spots weg bekommen haben und sie so keinen Rhythmus finden konnten."
Es ist das Rezept der Warriors der ersten Wochen: Hinten wie vorne gegnerische Teams maximal unter Druck setzen, das Tempo hochhalten, dabei permanent unterschiedliche Fragestellungen präsentieren und die Last gleichmäßig verteilen. Derzeit funktioniert es. Und vieles deutet auf eine solide Basis, auf ein nachhaltiges Konzept hin. Eventuell sind die Warriors am Ende deutlich stärker als viele von uns erwarteten - und kommen der goldenen Vergangenheit damit auf ganz neue Art näher als gedacht.
Max Marbeiter