23.01.2025, 10:53
Eine Karriere ohne Krönung
40 Jahre vor Victor Wembanyama wurde schon einmal ein 2,24 m großer Spieler gedraftet, der den gesamten Basketballsport verändern sollte. Ralph Sampson wies noch weitere Parallelen zum französischen Phänomen auf - als Blaupause taugt der Hall-of-Famer aber nur bedingt.
2,24 m groß, koordiniert wie ein 50 cm kleinerer Mensch. Schmal, wendig, schnell, mit endlos langen Armen. Und mit Guard-Skills - dribbeln, werfen, passen, alles möglich, alles im Repertoire. Genau wie elitäres Shotblocking, natürlich. "Er wird das Spiel revolutionieren", sagt ein Mitspieler. "Er kann der beste aller Zeiten werden", sagt einer seiner Coaches.
Gemeint ist in diesem Fall nicht Victor Wembanyama - auch wenn all diese Beschreibungen auf ihn zutreffen. Das "Alien" ist einzigartig, aber … in gewisser Weise hatte er einen Vorgänger. Einen Prototypen, auf den ähnliche Attribute zutrafen, der mit vergleichbaren Vorschusslorbeeren in die Liga kam.
Um Bol Bol geht es nicht (sorry, Shaq!). Exakt 40 Jahre vor Wemby drafteten die Rockets an Position 1 einen Spieler, der in seiner Zeit ein ebenso großes Phänomen war. Ralph Sampson schaffte es im Anschluss in die Hall of Fame - und trotzdem dient seine Karriere für Wemby (und für die Spurs) wohl eher als abschreckendes Beispiel.
Man stelle sich vor, wie Zuschauer heute auf Wembanyama reagieren würden, wenn es vorher nicht beispielsweise Dirk Nowitzki oder vor allem Kevin Durant gegeben hätte. Wenn der Standard bei großen Spielern noch immer wäre, mit dem Rücken zum Korb Gegenspieler wegzuschieben, nahezu jeden Abschluss in Korbnähe zu nehmen.
Zu Sampsons Zeiten war das so - sein Spiel war ein Affront für viele, weitaus mehr Leute jedoch regte es zum Träumen an. Mit ihm schien alles möglich. Selbst wer seine Wurfauswahl oder sein zum Teil Perimeter-orientiertes Spiel kritisierte, musste eingestehen, dass all diese Fähigkeiten bei einem so großen Spieler zu grenzenlosem Potenzial führten.
"Er könnte scoren wie Chamberlain und Titel gewinnen wie Russell", bescheinigte ihm mal ein College-Coach. Wenn er eines Tages erst alles zusammenfügte …
Dieser Zusatz spielte bei Sampson immer Rolle. Der Glaube an sein Potenzial machte ihn zum vielleicht meistrekrutierten High-School-Spieler der US-Geschichte. Der Glaube hätte ihn in den drei Jahren vor seinem tatsächlichen Draft auch schon zum Nr.1-Pick gemacht, wenn er nicht erst seinen College-Abschluss hätte machen wollen.
Schon im Frühjahr 1980 kreuzte Red Auerbach von den Celtics mit 1 Million Dollar Bargeld im Haus der Sampsons auf, weil er ihn an Position 1 draften wollte (stattdessen wurde der Pick für Kevin McHale und Robert Parish eingetauscht). 1982 zierte sich Sampson, weil der Münzwurf zwischen den Lakers und Clippers entschied und er nicht bei letzteren landen wollte (die Lakers bekamen den Zuschlag und drafteten James Worthy).
Es war kein Zufall, dass die beiden dynastischen Teams der 80er Sampson haben wollten. Alle wollten das; drei Jahre in Folge wurde er in seiner Zeit bei Virginia zum College-Spieler des Jahres gewählt, was vor ihm nur Bill Walton geschafft hatte. Er führte die Cavaliers zwar nur einmal ins Final Four, seine Senior-Zahlen (19,1 Punkte, 60,4% FG, 11,7 Rebounds, 3,1 Blocks) deuten jedoch an, warum er der Basketball-Welt damals so sehr den kollektiven Kopf verdrehte.
1983 waren es dann die Rockets, die den Zuschlag bekamen. Sampson startete mit Wucht, legte als Rookie 21 Punkte, 11 Rebounds, 2 Assists und 2,4 Blocks auf, wurde All-Star und als Frischling des Jahres ausgezeichnet. 1984 erlebten die Rockets dann ein Dilemma: Sie bekamen in der ersten Lottery wieder den ersten Pick, und das größte Talent nach damaligem Konsensus war ebenfalls ein Center, Hakeem Olajuwon.
Kein Problem jedoch: Sampson konnte ja werfen, wie ein Guard spielen. Olajuwon konnte, wie sich bald herausstellte, sowieso alles, und sogar noch mehr … Houston zog den gebürtigen Nigerianer, die ersten echten "Twin Towers" der Geschichte waren geboren. Sampson schulte auf Power Forward um.
"Wenn sie erwachsen werden, ist das vielleicht der beste Frontcourt, der je zusammengestellt wurde", schwärmte der damalige Mavs-Coach Dick Motta. Er hatte auch allen Grund dazu: Selbst wenn die Kombination zweier 7-Footer ungewöhnlich aussah, brachte sie sofort Resultate.
Das erste gemeinsame Jahr war gleichbedeutend mit Sampsons bester individueller Saison, zum ersten (und einzigen) Mal erreichte er ein All-NBA-Team (2nd), die Twin Towers führten Houston zurück in die Playoffs. Im zweiten Jahr lief Olajuwon Sampson den Rang ab, beide harmonierten indes so gut, dass sie Houston sogar direkt in die Finals führten.
Sie trafen im Zuge dessen auf beide großen Sampson-What-Ifs; in den Conference Finals wurden die Lakers eliminiert, der amtierende Meister, wobei die Twin Towers Kareem Abdul-Jabbar bisweilen im Tandem verteidigten und sogar mehrfach seinen Skyhook blockten. Am Ende von Spiel 5 versenkte Sampson einen Buzzerbeater zum Sieg, der bis heute zu den ikonischsten Game-Winnern der Playoff-Geschichte zählt.
In den Finals warteten die Celtics, die sich als zu stark erwiesen, auch wenn Houston ihnen immerhin zwei Siege abtrotzte, nachdem sie im Osten zuvor nur eins verloren hatten. Sampson wurde inmitten der Serie zur Hassfigur in Boston, weil er sich mit dem 1,85 m großen Jerry Sichting prügelte, dennoch war allen bewusst, dass mit Houston von nun an zu rechnen war.
"Sie sind die neuen Monster vom Block", erkannte Celtics-Coach K.C. Jones an. 1986 sollte der Start von etwas Großem werden.
Es war der Höhepunkt. Houston wurde im Folgejahr dezimiert, weil zwei Leistungsträger (Lewis Lloyd und Mitchell Wiggins) mit Kokain erwischt und aufgrund einer neu eingeführten Regel beim ersten Regelverstoß direkt für zwei Jahre gesperrt wurden. Sampson wiederum wurde von einem Sturz eingeholt, den er schon im März der vorigen Regular Season in Boston erlitten hatte.
Damals hatte er nach einer Woche wieder gespielt, sich aber nie komplett erholt. In der folgenden Offseason folgte die erste von vielen Knie-Operationen, nach nur acht Wochen stand er jedoch wieder auf dem Court. "Heutzutage würde man damit ein Jahr aussetzen", sagte Sampson rückblickend mal. Vermutlich wäre das auch für ihn besser gewesen.
Es ging in jedem Fall rapide bergab. 43 Spiele schaffte er in 86/87, seiner letzten von vier All-Star-Saisons. Springen und laufen wie zuvor konnte er nicht mehr. Die Rockets schieden in Runde zwei aus, im Dezember 1987 beendeten sie das "Experiment" und schickten den schockierten Sampson nach Golden State, wo er wieder als Center spielen sollte.
Es ging jedoch weiter rapide bergab. In seiner einzigen vollständigen Warriors-Saison kam Sampson schon nur noch auf 6,4 Punkte in 61 Spielen. Es folgten Stationen in Sacramento und Washington, das NBA-Aus mit 31 Jahren. Kurz spielte Sampson außerdem noch in Spanien und der CBA, ehe er endgültig eingestehen musste, dass der Körper nicht mehr funktionierte.
"Es war wirklich traurig", sagte Jerry Reynolds mal, der Sampson in Sacramento coachte. "Ralph war einer der professionellsten Spieler, die ich erlebt habe. Er arbeitete hart und versuchte, gesund zu werden und sein Spiel zurückzubekommen. Er hatte ehrlicherweise aber einfach keine Beine mehr."
Sampson hatte bereits am College erste Knieprobleme erlitten. Die Vorzüge moderner Medizin oder modernen Trainings genoss er nicht - zu seiner Zeit wurde in Halbzeitpausen von vielen Spielern noch geraucht -, zudem führte bei ihm wohl auch ein genetisch bedingter Schiefstand der Hüften zu einigen Problemen. Gazellenartig und geschmeidig wie Wembanyama bewegte sich Sampson bei aller revolutionärer Agilität auch als "gesunder" Spieler nicht.
Auch sonst gab es zwischen beiden trotz aller Parallelen einige gravierende Unterschiede. Sampson fand nie die eine Sache, die ihn definierte (die Wemby mit seiner Defense jetzt schon hat), hatte keinen Go-to-Move und eigentlich auch keine fixe Position; im Herzen wollte er ein Guard sein, hatte dafür aber weder das Ballhandling noch die Passing-Instinkte.
Das Rampenlicht war eigentlich nicht seine Sache; während Wembanyama von Zeit zu Zeit markige Sprüche klopft und keinen Zweifel daran lässt, wo er sich aktuell sieht und wo er hinwill, schien sich Sampson nie hundertprozentig wohl zu fühlen mit all dem Hype, all den Erwartungen, mit denen er von jungen Jahren an überhäuft wurde.
"Es war so, als würde man sagen, man hätte den besten Witz der Welt, bevor man ihn erzählt", sagte Sampsons College-Coach Terry Holland mal über den Druck, der auf seinem Star lastete. "Egal, wie gut der Witz dann ist, der andere wird jedes Mal davon enttäuscht sein."
Sampsons Karriere beschreibt das ziemlich gut. Die Aufnahme in die Hall of Fame validiert eigentlich jede Karriere, selbst wenn er es nicht im ersten Anlauf schaffte. Seine aber irgendwie nicht - er schien zu etwas Größerem bestimmt. Stattdessen ging er in die Geschichte ein als der vielleicht größte "Was wäre, wenn …"-Spieler der NBA. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Ole Frerks