20.12.2024, 10:04
Franzose verzaubert die Liga
Nicht umsonst gilt Victor Wembanyama als kommender Superstar. Gleichzeitig gibt es gute Argumente, dass er defensiv genau das bereits ist. Ein besonderer Mix macht Wemby einzigartig - und könnte ihn auf Jahre zum einzig wahren Kandidaten auf den Defensive Player of the Year Award machen.
Domantas Sabonis hatte eigentlich alles richtig gemacht. Ein kurzer Fake, schon schwebte Victor Wembanyama über das Parkett. Eigentlich fehlte nur noch ein kurzer Spin, ein schneller Jumphook, und Sacramento wäre um zwei Punkte reicher. Sabonis drehte sich blitzschnell, und war mit einem Mal unter einem 2,21 Meter langen Schatten begraben. So bereitwillig er abgehoben war, so zügig sprang Wemby ein zweites Mal. Diesmal passte das Timing. Wemby blockte den Ball direkt in die Hände von Stephon Castle, der direkt den Fastbreak einleitete.
Einfache Punkte, so viel deuten Wembys erste 93 Spiele an, sind größtenteils Geschichte, sobald der Franzose auf dem Parkett steht. Und das nicht nur am Ring. Auch am Perimeter, rund um die Zone und in eigentlich in allen Zwischenräumen verändert Wembanyama Würfe, verschließt plötzlich Passwege, klaut Bälle aus Distanzen, die in der Vergangenheit eigentlich als sicher galten.
Jalen Brunson brachte es im vergangenen März bei The Athletic treffend auf den Punkt: "Es ist einfach schwer, über ihn einen Wurf loszuwerden und zu treffen." Und das von einem, der aufgrund seiner Größe das Duell mit längeren Defendern bestens kennt, der vor allem immer irgendwie einen Wurf losbekommt - und sehr häufig auch trifft.
Tatsächlich führt Wembanyama die Liga auch in diesem Jahr wieder in Blocks an. Auch bei Stocks, der Kombination aus Steals und Blocks, liegt er vorn. 3,5 Mal pro Spiel schickt er den Ball zurück zum Absender. Diebisch wird Wemby 1,2 Mal. Steht er auf dem Feld, blockt der Rookie of the Year 5,4 Prozent aller Würfe. Gleichzeitig ist San Antonios Defense mit Wembanyama laut Cleaning the Glass um 11,1 Punkte pro 100 Ballbesitze besser als ohne den Big.
Die Diskrepanz indiziert, dass Wembys Defense weit mehr bedeutet als "nur" Blocks und Steals. Entscheidend ist vor allem die Präsenz. Allein Wembanyamas Anwesenheit verändert offensive Gameplans. Im Grunde müssen Scorer permanent fürchten, geblockt zu werden. Das verändert Wurfbewegungen, Wurfwinkel, Würfe, stört den natürlichen Ablauf. Zumal es wenig bringt, Wemby einfach hinaus an den Perimeter zu ziehen.
Klar gelingt der einen oder andere Drive, gleichzeitig tun sich Angreifer unglaublich schwer, Separation zu bekommen. Mit einem kurzen Crossover, einem Hesitation-Dribble, einem Stepback ist es nicht getan. Auch nicht in Kombination. Selbst wenn es wirkt, als sei ein wenig Separation entstanden, kommt Wemby nah genug heran, um entweder zu blocken oder mindestens entscheidend zu stören. Gelingt der Drive und der erfolgreiche Layup erscheint zum Greifen nah, schnellt von hinten plötzlich ein langer Arm herbei und zerstört alle Scoringträume.
Was Wembanyama so einzigartig macht, ist nicht nur seine Länge. Große Defender sah die Liga immer wieder. Der Franzose paart seine 2,21 Meter mit der Agilität eines Wing. So kommt er regelmäßig zurück in ein Play, lässt sich durch Fakes nicht so einfach aus dem Gleichgewicht bringen. In Transition rennt er auch mit kleineren Guards so mit, dass er den Fastbreak-Layup erfolgreich verhindern kann. Selbst Jalen Green, einer der schnellsten Spieler der Liga, machte schon Bekanntschaft mit Transition-Wemby und seinen Blockfähigkeiten.
Dazu kommt ein hervorragendes Gespür für die Situation. Als Jordan Clarkson gegen die Spurs in die Zone zog, wartete Wembanyama nicht am Ring. Am Zonenrand sollte er den Eckendreier verhindern. Clarkson ließ er daher zunächst passieren, um sich danach blitzschnell umzuorientieren und den Wurf noch zu blocken. Verteidigt Wembanyama im Pick and Roll beispielsweise den Rollman, muss er dank seiner Größe nicht zu intensiv aushelfen, um dabei den Passweg in Richtung Ring zu öffnen. Stattdessen schirmt er seinen Gegenspieler ab, hilft erst im letzten Moment doch aus und entzieht dem Wurfversuch die Starterlaubnis.
"Seine größte Stärke ist seine Intelligenz", sagte Joakim Noah im The Young Man and the Three Podcast. "Natürlich kannst du seine Größe […] nicht ausklammern. Er kann bis zum Himmel, bis zum Mond springen. Er ist ein unglaublicher Spieler. Dazu seine Mobilität, diese Dinge kannst du nicht beibringen. Dann nimmst du seinen IQ hinzu […] Eventuell denkst du, du seist offen und bist es eigentlich gar nicht."
Noah, zu seiner Zeit einer besten Defender der Liga, muss es wissen. Und auch die NBA hat zugesehen. Anfang Dezember vergab sie erstmals je Conference den Defensive Player of the Month Award. Wemby gewann - was nicht wenige für einen Vorgeschmack halten. Seine einzigartige Kombination aus körperlichen Voraussetzungen, Drive und IQ machen Wembanyama noch mehr zum Ein-Mann-Defense-System als seinen Landsmann Rudy Gobert.
Den, hieß es, könne man irgendwie überwinden (was größtenteils eher der Wahrnehmung als der Realität geschuldet war). Wembanyama bietet gefühlt aber überhaupt nichts mehr an. "Du musst dir jederzeit bewusst sein, wo er gerade ist", diktierte Knicks-Coach Tom Thibodeau vergangene Saison The-Athletic-Reporter Mike Monroe. "Seine Länge, sein Timing, das Talent, schnell große Räume zu überbrücken - und mit der Zeit wird das auch noch stärker werden."
Wie sehr, bleibt natürlich die Frage. Zu viel Muskelmasse kann schließlich sowohl die Mobilität einschränken als auch die Belastung auf Gelenke und Sehnen intensivieren. Bei Wembanyamas Größe ein entscheidender Faktor. Zumal er in Jahr zwei zwar immer noch teilweise durch die Gegend geschoben wird, gleichzeitig jedoch auch im direkten Duell bereits physische Bigs wie Ivica Zubac, Rudy Gobert, Alperen Sengün und Lauri Markkanen abräumte.
Vielleicht braucht es nicht endlose Kraft. Vielleicht ist es diese einzigartige Kombination aus Länge und Mobilität, die Wemby in ein paar Jahren womöglich zum besten Verteidiger macht, den die Liga je gesehen hat. "Du siehst die Plays, die er macht. Das kannst du nicht lehren. Das ist Instinkt", sagt Thibodeau.
Insgesamt hat Wembanyama gerade einmal eine gute Saison gespielt. Dennoch verändert er ganze offensive Gamepläne, erschwert jeden Wurf im Umkreis des gesamten Halfcourts. Bleibt er gesund, stehen die Chancen aus Spurs-Sicht gut, dass in den kommenden Jahren kein dominanterer, prägenderer Defensivspieler auftaucht und der Defensive Player of the Year Award zur Opening Night vergeben werden kann. Eigentlich hätte Domantas Sabonis schließlich einen einfachen Jumphook haben sollen…
Max Marbeiter